Für einen Gerichtshof für Naturgesetze

Eberhard Waffenschmidt, 2.3.2017, mit Korrekturen vom 23.4.2017
Ein Apfel hat es einfach: Wenn er reif ist, fällt er einfach vom Baum. Die Naturgesetze, hier die Schwerkraft, sorgen einfach dafür. Er bekommt dafür kein Geld, braucht keinen Anreiz oder muss dazu irgendwelche Verordnungen einhalten. Mit derselben Selbstverständlichkeit der Naturgesetze fließ eigentlich der elektrische Strom vom Generator zum Verbraucher. Nur manchmal hat man den Eindruck, dass dieser einem Ingenieur selbstverständliche Sachverhalt von Wirtschaftsfachleuten und Politikern gerne vernachlässigt wird.

Offensichtlich werden technische Einrichtungen als derart selbstverständlich angenommen, dass Prämissen unter Vernachlässigung von Naturgesetzen gesetzt werden. Das Dogma des "Freien Marktes" führt regelrecht zu einer Umkehrung von Kausalitäten. Kürzlich nahm ich an einer Tagung zum Thema "Zukünftige Stromnetze für Erneuerbare Energien" in Berlin teil. Die Eröffnungsrede durfte Herr Rainer Baake, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Mitglied der Grünen-Partei halten. Seine Rede war dermaßen vom Primat des Freien Stromhandels bestimmt, dass am Ende seine Schlussfolgerung war: "Das europäische Stromnetz muss weiter ausgebaut werden, damit es einen freien, einheitlichen, europäischen Strommarkt ermöglicht." Der Stromnetz-Ausbau ist also nicht für die Energiewende, auch nicht für die Versorgungssicherheit notwendig: Nein, für den Freien Markt!

Bisher war ich als Ingenieur davon ausgegangen, dass eine Marktordnung eingerichtet wird, um damit einen bestimmten Zweck zu verfolgen. In dem Zusammenhang hätte ich angenommen, verantwortliche Entscheider überlegen: Was ist technisch, physikalisch oder auch gesellschaftlich sinnvoll und wie kann ich nun eine Marktordnung machen, die diese Ziele unterstützt. Ein Beispiel: Im Stromnetz fehlen Anreize für Speicher und andere Flexibilitätsoptionen. Und bevor der Strom über teure Leitungen quer durchs Land geschickt wird, sollte man vor Ort alle Optionen zur Stromerzeugung (natürlich mit Erneuerbaren Energien) nutzen. Da würden regionale Strom-Märkte mit höherer Preisvolatilität und entfernungsabhängige Leitungstarife die richtigen Anreize setzen, um die notwendige technische Umsetzung zu fördern. Stattdessen wird der freie, einheitliche Strommarkt als grundlegendes Ziel angesehen. Die technische Umsetzung dazu wird schon irgendwie funktionieren, koste es was es wolle.

Ich war nicht der einzige Ingenieur auf der Tagung. In der Pause waren wir uns im kleinen Kreise einig: Es wird Zeit für die Einrichtung eines Gerichtshofs für Naturgesetze. Vielleicht könnte man dann dort eine Klage gegen das Primat des Freien Marktes und der Vernachlässigung der technischen Realisierbarkeit einreichen.

Kommentare zum Text:

Dieser Text wurde auch als E-Mail-Newsletter des SFV verschickt und im Solarbrief 1/17 des SFV veröffentlich. Hier ein paar Kommentare daraufhin:

5.4.2017: Es gibt bereits eine BI, die einen solchen Gerichtshof fordert: "End Ecocide on Earth" https://www.endecocide.org/de/

5.4.2017: Das ist doch ein vorzüglicher Vorschlag! Den Gerichtshof könnte man zur Abwehr sehr vieler 'fake news' gebrauchen - ich sehe allerdings ein Problem: Für die Besetzung bräuchte man Juristen, die zusätzlich ein Studium o. ä. in Physik oder Ingenieurwissenschaften absolviert haben. Mein Optimismus ist normalerweise ziemlich unerschütterbar, aber diese Voraussetzung für diesen wirklich notwendigen Gerichtshof halte ich für kaum erfüllbar!

4.4.2017: Liebe Newsletter-Redaktion, herzlichen Dank für die Weiterleitung des Kommentars von Herrn Waffenschmidt, sehr gut! Werde ich gleich an unser Team der BürgerEnergie Berlin weiterleiten.

4.4.2017: Hallo Mitstreiter, diese Idee ist sehr gut. Nur wie wird ein Gerichtshof eingerichtet und wer wäre dafür zuständig. Die Abgeordneten, die nur für weitere Stromnetze votieren, erhalten wohl eine Unterstützung? Für weitere Informationen sehr dankbar.

4.4.2017: [...] Ansonsten teile ich die Kritik. Ich hatte die Gelegenheit einige meiner grünen Parteifreunde zu befragen: "Was macht eigentlich unser grüner Parteifreund Rainer Baake da im Wirtschaftsministerium?" So befragte ich bei verschiedenen Gelegenheiten Katrin Göring-Eckardt, Jürgen Trittin und Toni Hofreiter. Letzter gab die für mich pointierteste Antwort: "Er ist halt ein guter Beamter und macht, was sein Chef will." (Damals noch Gabriel. Zypries schnarcht ja genauso.) Beim Stromseminar letztes Jahr in Schönau befragte ich dazu Prof. Uwe Leprich: "Wenn sich 20 Leute auf diesen Posten bewerben würden, gäbe es 19 schlechtere."
Ich hatte Baake live letzten September beim Bündnis Bürgerenergie in Berlin erlebt. Quaschning hat in davor richtig rund gemacht. Baake ist auf die entscheidenden Argumente nicht eingegangen. Traurig, was aus dem Mann geworden ist. In seinen Glanzzeiten hat er immerhin die hessische Atomindustrie abgewickelt.

4.4.2017: Ihr Beitrag bzw. die Kritik an der 200% Marktorientierung spricht mir aus der Seele, muss denn alles aber auch alles den z.T. unsinnigen Marktgesetzen unterworfen werden? Muss man denn Portugal österreichischen Strom kaufen können?
Das Primat der Aktivitäten der Wirtschaft wird völlig falsch gesetzt, statt immer nur auf Freihandel und Wachstum zu setzen müsste die Ressorceneffizienz und Suffizienz das Primat werden!! Wir verfrühstücken die Schätze der Erde mit Höchstgeschwindigkeit für Jux und Dollerein ( etwas derb ausgedrück), für Spaß und Spiel ohne Grenzen, Glanz und Glamour in den Einkaufsmalls und Metropolen, für fragwürdige Bequemlichkeit und Hyperwohlstand, unser Enkel werden uns verfluchen dafür!!
Der Marktwahn kennt keine Grenzen, in der Wasserwirtschaft ist er z.T. gescheitert, auch hier wollte man freie Durchleitung von Wasser durch die Gebiete anderer, nur scheiterte das an den Leitungen... Die Bahn in England hat der freie Markt ruiniert und die DB hat der Markt- und Börsenfeteschist Mehdorn auch beinah an den Abgrund gebracht.
Auch für Strom sollte man bei eher begrenzten Gebieten bleiben mit dem Primat der maximalen Eigenversorgung, nur Defizite dürfen importiert werden, unnötiger Transport über tausende km bringt auch nur Verluste...

4.4.2017: Guten Tag, zu dem Gedanken (hierdrunter !!) Herrn Waffenschmidts betr. Natur-"Gerichtshof" : schon in die richtige Richtung gedacht, aber die stockende "Entwicklung" der klima-drastisch-notwendigen E- und Wirtschafts-Wende läßt keine Jahre Zeit mehr, bis sowas wie ein Gericht käme und Wirkung hätte. Und dadrin die Juristen kommen zu fast 100% aus der dafür falschen Schule, verstehen auch nix von der Sache und sind daher unnütz.
Was eher sein muß und zwar schnell : die Physiker, Chemiker, Ingenieure und gar manche aller anderen, wenn sie ökologisch überblicken und also klar einschätzen können, wie falsch die Menschheit läuft , die müssen gegen die Wirtschafts-, Polit-, Werbe- schwätzer öffentlich-laut aufstehen und dagegen aufzeigen, daß deren unverständig-primitive Verwendung und Verschwendung der technischen Möglichkeiten und der Energie rasend schnell zum Exitus führt. Schon deren Schlagwort "neoliberal" ist verlogen : "neo" ist daran garnix, weil das ist die uralte Wolfsgier, und "liberal" noch weniger, weil sie nur die Gewalttat des Stärkeren durchsetzen wollen. Der Primat des Profits dieser Leute hat die technischen Möglichkeiten usurpiert. Gegen diesen Herrschaftszustand und sein Anwachsen durch faschistische Wirtschafts- und Polit-Regimes müssen wir politisch aufstehen, nicht juristisch. Und das jetzt, weil die Klima-Uhr rast.
z.B. bei allen künftigen Wahlen : wer sich nicht deutlich und wirkungsvoll für die E- und Wirtschaftswende einsetzt, ist nie mehr wählbar. Und weitere Beispiele … …

 


E.Waffenschmidt, 13.Apr. 2017